Der Jüngste war heute zum ersten Mal im Team. Er wirkte am Morgen noch etwas unsicher. Am Nachmittag sah das schon anders aus.
Über vier Kilometer lang ist der Biberwier-Zaun. Um 8 Uhr in der Früh gehts los. „Wir müssen heute fertig werden“, sagt der Almmeister. Das Wetter ist gut. Nicht zu warm und nicht zu kalt. Kein Regen. „So haben wir das gerne“, sagte der Pirpamer Max und zeigte zum Himmel.
Max Pirpamer gehört zu den Alten im Team. Seine Familie ist seit Generationen mit der Marienbergalpe verbunden. So oder so. Seit dem letzten Jahr bewirtschaftet seine Tochter Bianca die Hütte und Schwiegersohn Ander, bürgerlicher Name Andreas Rott, ist seither der Almhirt am Marienberg. Die Marienberg Alm, erzählt er, ist schon geöffnet.
Ich bin mit den Zäunern an der Auffahrt zum Marienbergjoch verabredet. Direkt an der Bundesstraße nach Biberwier. Im Süden von unserem Treffpunkt gehts zu den Loisachquellen, auf der Seenroute zum Blind-, Weissen- und Mittersee.
Biberwier liegt am Südrand des Lermooser Moos. Nah an der österreichisch-deutschen Grenze. Am Rande des Wettersteingebirges. Mit Blick auf die Zugspitze. Am langen Wochenende, nach Christi Himmelfahrt, trifft man hier auf ziemlich viele Gäste. Sie lassen sich eine Menge einfallen, um hierher zu kommen. Wenige kommen zu Fuß, andere mit dem Traktor, viele auf dem Radl. Die meisten mit dem Auto.
Wer es sich leisten kann, reist im flotten Sportcoupé an. Ganz langsam. Diese Autos müssen nämlich immer wie neu ausschauen.
„Mander passt auf, hier ist die Arbeit nicht ungefährlich“, mahnt Almmeister Benedikt van Staa seine Leute. Das meint er ernst. Ich habe aber den Eindruck, dass sagt er mehr zu sich als zu den Zäunern.
Die scheint nämlich der Verkehr auf der schnellen Bundesstraße ziemlich kalt zu lassen. Sie kehren ihm den Rücken zu. Hämmern und sägen. Sägen und hämmern.
Dabei schauen die fleißigen Menschen weder nach links, noch nach rechts. So als ginge es um Leistungssport. Was auch immer. Das Straßendorf Biberwier hat nur knapp über 600 Einwohner. Die Gewässer und Feuchtgebiete um Biberwier lassen erahnen, dass die Gemeinde am Rande des Wettersteingebirges (mit Blick auf die Zugspitze) den baumfällenden Bibern ihren originellen Namen verdankt. Ein Montan-Wanderweg zeugt vom früheren Bergbau. Funden aus der Römerzeit verdankt der Römerweg seine Existenz.
Biberwier ist ein Vorberg der Marienbergalm. „200 Quadratmeter sind das hier“, sagt Almmeister Benedikt van Staa. „Die haben wir dazu gepachtet“. Kämen noch die 800 Quadratmeter Almfläche am Marienberg hinzu. Was hat der van Staa Beni beim Vorbergauftrieb vor einer Woche nochmal gesagt? – „Mitte Juni fressen sich die Viecher am Marienbergjoch zusammen.“
Bevor ich wieder meinen Heimweg antrete, werde ich wissen, was er damit zum Ausdruck bringen wollte. Das Vieh kommt erst später nach Bieberwier. „Nochmal soviel wie in Mieming“, so der Almmeister.
Noch gibt es nicht genug Futter auf der Biberwier-Alm. Das muss noch wachsen. Die Natur bemüht sich. Neben zahlreichen Feuchtgebieten, blüht es schon überall sehr vielversprechend.
Und am frühen Nachmittag öffnet sich der bedeckte Himmel und zeigt sich in Wolken, aber dazwischen auch ein wenig blau. Hellblau.
Zeit für eine kurze Rast. Die Stimmung unter den Zäunern könnte nicht besser sein. Sie erzählen sich alte und neue Geschichten. Nicht wenige am Tisch, spielen Neben- und Hauptrollen in der ein oder anderen Episode. Heute wird es wieder neue Geschichten geben. Zum Weitererzählen.
Nach der Rast wechseln wir unseren Standort. Wer bis dahin noch rätselte, weshalb unsere Almbauern aus Mieming-Barwies (und den angrenzenden Weilern See, Zein, Krebsbach, Fronhausen, Gschwent und Aschland) auch Waldbauern sind, dem machen das unsere Bilder deutlich. Mehr Wald geht nicht.
Die Pause hat allen gut getan. Das Zäuner-Team macht einen sehr gestärkten Eindruck.
„Wir haben jetzt schon über zwei Kilometer geschafft.“ Das ist die aufmunternde Zwischenbilanz von Almmeister Benedikt van Staa. „Wenn wir so weitermachen, trinken wir unser nächstes Bier an der Liftstation in Biberwier. weiterlesen…
Es geht wirklich sehr schnell voran. Jeder weiß, was zu tun ist. Und es wird nicht viel geredet. Die Aufgaben sind klar und nachvollziehbar verteilt.
Wer eine Motorsäge trägt, der sägt. Die Hammerträger schlagen mit ihrem meist 600 Kilogramm (und schwerer wiegenden Geräten) die zuvor angespitzten Pfosten ein. Wer Hammer und Nägel am Gürtel trägt ist für das Nageln zuständig.
Aber alle tragen das Holz auf ihren Rücken. Bessern aus, legen das Bruchholz zur Seite. Das geht an die Bauern in Biberwier zurück. „Das gehört ihnen. Die Biberwierer liefern auch das frische Holz“, sagt der Almmeister. „Wir sind für die Zäune verantwortlich.“ Der Pflichtenkatalog ist ausgewogen.
Wir kommen mehr und mehr voran. Hier und heute sind Profis am Werk. Der Tag auf der Biberwier-Alm vergeht wie im Flug. Vielleicht liegt es auch daran, dass alle so gut gelaunt sind. Es wird gern und viel gelacht.
Die besten Scherze macht der Pirpamer Max. „Wenn Du mit ihm arbeitest, dann wirst Du leicht 100 Jahre alt“, sagt mir ein Max-Kenner. Und warum?? – „Weil Du an seiner Seite so viel lachen musst.“
Kaum habe ich das gehört, werde ich Ohren- und Augenzeuge, wie der Max alle in beste Laune versetzt.
Max lässt lachen. Höhepunkt waren ein paar sportliche Damen, die an uns vorbeiliefen. Max war in seinem Element. Verbal. Die ein oder andere Sprinterin soll ihm zugelächelt haben. Aber bewiesen ist das nicht.
Kurz darauf verging uns das Lachen. – „Wer tut so was?“, fragte Martin Reindl, und zeigte auf einen Haufen Computermüll. Der ist gerade erst abgelegt worden. In alle Einzelteile zerlegt.
„Müll finden wir hier immer“, sagt Martin Reindl. „So etwas Dreistes sehen wir – Gott-sei-Dank – sehr selten. Wir nehmen den Schrott mit nach Mieming und entsorgen ihn nächste Woche im Recyclinghof.“ Nicht wenige Freizeit-Sportler werfen ihren Verpackungsmüll achtlos in den Wald. Jeder scheint zu glauben, alleine auf der Welt zu sein. Die gesehenen Bilder ersparen wir Euch.
Ich mache später ein paar Waldfotos. Sitze zur Wurzel einer stattlichen Lärche. Um mich herum ein Betrieb wie im Freizeitpark. Radler, Jogger und eine besonders interessante Spezies von Rollerfahrern. Fun-Sportler nennt man die heute. Nicht gerade das Publikum, auf das man im alpinen Gelände besonders stolz ist.
„Die fahren mit dem Biberwier-Lift auf den Berg“, erfahre ich auf Nachfrage. „Mieten oben die Tretroller mit den dicken Reifen. Kurze Einweisung. Die Handbremsen sind links und rechts am Lenker.“ – Dann gehts mit Helm und briefmarkengroßen Knieschützern talwärts.
Ich möchte noch wissen, wie hoch wir hier sind? Meine Smartphone-App zeigt an: 1.115 Meter über Meer.
Irgendwann in den nächsten Tagen gehe ich auf die Marienberg Alm. Das werden dann mindestens 2194 Höhenmeter, die zu bewältigen sind. Nach all den Geschichten jüngster Zeit über den Marienberg, zieht es mich in die Höhe.
„Vergiss nicht“, ruft mir Beni van Staa zum Abschied noch nach, „wir treffen uns hier wieder, am 20. Juni. Plus/Minus fünf Tage. Dann gehen wir mit dem Vieh zum Marienbergjoch. Du bist herzlich eingeladen. Ich nehme an.
Und freue mich. Heute werde ich noch lange über das Erlebte nachdenken. Es kann gut sein, dass ich bei offenem Schlafzimmerfenster die Kuhglocken vom benachbarten Feldereralp-Vorberg höre und mir dabei die Bilder vom Marienberg durch den Kopf gehen. Und vom Zäunen in Biberwier.
Quelle: Almenland Miemingerberg, 16.05.2015
Fotos: Knut Kuckel