19. März 2024

Viehauftrieb zum Vorberg der Marienbergalm – Auftakt zum Almsommer

Viehauftrieb zum Vorberg der Marienbergalpe, Foto: Knut Kuckel
Viehauftrieb zum Vorberg der Marienbergalpe, Foto: Knut Kuckel
"Früher sind wir noch mit dem Vieh zum Vorberg hinauf gelaufen. Quer durch den Ort", erzählt Annemarie Wallnöfer. "Im Laufschritt. Die Kühe sind schnell. Da musst du das auch sein."

Heute wird der überwiegende Teil der mehr als zweihundert Kühe mit den älteren Kälbern im Viehwagen zur Vorbereitung auf den Almsommer auf den Vorberg geführt. In anderen Alpenländern gibt es dafür auch den Begriff „Niedere Alm“. 

„Im Ortsteil Barwies (mit Weilern See, Zein, Krebsbach, Fronhausen, Gschwent und Aschland) gibt es heuer 15 aufführende Bauern“, sagt dazu Almhirt Andreas Rott und schaut dabei sicherheitshalber auf seine Liste. „Zwischen 210 und 220 Stück Vieh werden das wieder sein. Wie im letzten Jahr.“

Zwischen Freitag, dem 8. und Sonntag, dem 10. Mai wurden die Kühe auf den Vorberg der Marienberg Alm und auf die Niedere Alm nach Biberwier verbracht. Die älteren Kälber sind etwas später an der Reihe. Zu ihrem Schutz, erst nach den Eisheiligen, um Mitte Mai.

Wenn das Vieh auf den Almsommer vorbereitet wird, gibt es zwischen Tier und Mensch viele kleine und große emotionale Momente. Zuerst kommt der Viehdoktor und impft die Tiere. Zum Schutz gegen allerlei Krankheiten, vor allem verursacht durch Zeckenbisse. Mancher Bauer verfüttert zur Umgewöhnung schon mal den nährstoffreichen „Erstschnitt“. Ein Kuhmagen braucht ein bis zwei Wochen, bis er sich wieder umgewöhnt hat. Das ging uns Menschen genauso, wenn wir von heute auf morgen Vegetarier werden würden.

Dann kommt der Tag, an dem es wieder hinaus geht. Das Vieh muss an das freie Leben auf der Sommeralm vorbereitet werden. Für das Vieh ist das ein wirklich großer Tag, an dem es aus seinen Winterställen auf den Vorberg – die Vor-Alm – geführt wird. Für die Marienbergalpe ist das überwiegend der Bereich Kohlgrube in Mieming und die niedere Alm in Biberwier, im Bezirk Reutte.

Almmeister Benedikt van Staa: „In Biberwier haben wir ca. 200 Quadratmeter zusätzlich gepachtet. Mitte bis Ende Juni wird unser Vieh dann von beiden Vorbergen auf den Marienberg getrieben. Am Joch treffen sie sich und fressen sich so wieder zusammen.“

Das ist erst einmal alles sehr aufregend. Für den Bauern und sein Vieh. Es dauert eine Weile, bis sich das Vieh wieder an ein freies Leben gewöhnt hat. Ein Leben, ganz nah am Himmel.

Im Stall der Familie Wallnöfer in Barwies ist alles in heller Aufregung. Theresa ist mit dem Bus von der Schule heimgekehrt. Nur ein kleiner Wortwechsel zur Begrüßung. Dann hilft sie ihrem Bruder und der Mutter bei der Arbeit.

Theresa und Michael verkleinern erst einmal den Bewegungsraum der unruhigen Tiere im Stall. Da muss jeder Handgriff sitzen. Das ist überhaupt gar nichts, für schwache Nerven. Annemarie legt ausgesuchten Tieren mit geübten, schnellen Handgriffen ein Seil-Halfter an. „Damit wir sie in den Hänger kriegen und wieder hinaus“, sagt Michael.

Theresa legt für die Tiere große Halsbänder mit Kuhglocken aus. Der Klang der Glocken weckt bei den Tieren die Erinnerung an das Almleben vergangener Jahre. Sie riechen an den Glocken, „befühlen“ sie mit ihren großen, feuchten Zungen. Und alle werden etwas ruhiger. 

Michael nimmt sich jetzt Tier für Tier vor und legt ihnen die Glocken an. Die Viecher versuchen sich zu wehren. Da ist schnelles und kraftvolles Handeln gefragt. Am Seil-Halfter werden die ersten beiden Kühe in den Anhänger verbracht. Mehr gezogen als geführt. Der Hänger ist mit trockenem Stroh ausgelegt. Alles muss rasch gehen. Zum Wohl der Tiere.

Der erste Transport erreicht die Ausläufer des Mieminger Vorberges der Marienbergalpe. Das ist bei den Moosalmwiesen in Barwies, bis zum Bereich Kohlplatzl. Aber erst einmal geht es in ein Gatter. Dann dauert es nur wenige Minuten, bis sich das Vieh mit der veränderten Umgebung vertraut machen konnte. Spätestens dann machen sie kleine und große Freudensprünge. Ihre Freude ist ansteckend.

Inzwischen kommt auch der Almmeister Benedikt van Staa mit seinem Vieh zur Sammelstelle an den Mooswiesen. Er öffnet seinen Hänger und entlässt die Tiere ohne Umweg ins Gatter, gleich in die relative Freiheit.

Diese Bilder müssen gar nicht kommentiert werden. Sie sprechen für sich und sind ungeschnitten. Nur so viel zum Hintergrund: Nach Michael Wallnöfer führt der Marienberg-Almmeister Benedikt van Staa sein Vieh zum Vorberg. Almhirt Andreas Rott mit Sohn Daniel helfen beim Ausladen.

„Sie hupfen umher, wie Kinder“, sagt der Ander. So nennen den erfahrenen Almhirt Andreas Rott alle, die ihn kennen. Das sind nicht wenige. 

Nachdem die ersten Ankömmlinge allesamt angekommen sind, öffnet der 13-jährige Daniel das Gatter. „Wie alt bist du inzwischen?“ – Original-Ton des Almhirt-Assistenten: „Ich bin 13, werde aber schon bald 14.“ Erinnerungen werden wach. So jung, macht man sich gerne älter. Später ist es dann umgekehrt.

Daniel, Sohn vom „Ander“, kennt sich schon gut aus. Er war in den letzten Jahren immer dabei. Macht das, was der Vater macht. Vertrauen zu den Tieren aufbauen. Das geht nicht ohne Bestechung. Mindestens eine Handvoll. Die Tiere wissen, wo diese Köstlichkeit aufbewahrt wird. In der alten, ledernen Hirten-Umhängetasche. Kraftfutter ist drin. Vergleichbar vielleicht mit den in Blöcke gepressten Müsli-Riegel für Spitzensportler.

Vereinzelte Frühlingsgäste wandern am Geschehen mehr oder weniger staunend vorbei. Keiner bleibt stehen oder traut sich, mit den Almbauern ins Gespräch zu kommen. Schaut ganz so aus, als würden sie sich vor dem Ungewohnten Bild fürchten. Verständlich. Wer sieht denn schon am frühen Morgen am Brandenburger Tor in Berlin oder an den Landungsbrücken in Hamburg umherhüpfende Schwergewichtler? Da ist das Eigenwohl wichtiger als die spontane Neugierde.

Einheimische bleiben aber stehen. Kommentieren das abwechslungsreiche Szenario. Sichtbar erfreut, denn diese Bilder sagen ihnen, dass der Almsommer beginnt. Der sehr nahe Almsommer zaubert in die Gesichter aller Bergmenschen einen Hauch von Glück. Alle strahlen das aus.

Jetzt werden unsere Bauern wieder sehr betriebsam. Vieles ist vorzubereiten. Die Ställe werden dampfgestrahlt, gereinigt und bei Bedarf wieder hier und da repariert. Danach riechen sie wie neu. Nicht zuletzt warten die Felder und Äcker der Mieminger Bauernschaft auf Zuwendung. In Mieming haben inzwischen alle Bauern die Saat ausgebracht oder Kartoffeln gesteckt. 

Für die Almbauern kommt allerdings noch einiges an Arbeit hinzu. Jetzt drehen sich wieder die kleinen und großen Räder der Almwirtschaftler. Alle sind erleichtet. Freuen sich auf die nächste Zeit. Im Einklang: Marienberg-Almmeister Benedikt van Staa, der Almhirt Andreas „Ander“ Rott und Mieminger Chef-Jungbauer Michael Wallnöfer.

Fotos: Knut Kuckel / MiemingerAlmen

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Knut Kuckel

In meinem Blog schreibe ich über das Landleben im alpinen Raum. Über Erlebnisse und Begegnungen.

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