27. Juli 2024
Die 600-Seelen-Gemeinde Biberwier, im Bezirk Reutte, am Südrand des Leermooser Moos', wirbt für seine grünen Almen, die aber kaum noch von einheimischen Bauern genutzt werden. "Weil es keine Bauern mehr in unserem Dorf gibt", klagt Urgestein Edi Hundertpfund, der letzte seiner Zunft ist Almmeister der Agrargemeinschaft Biberwier.

Die größte Alm, im Norden, zwischen Weißensee und einer Piste des Skigebiets Zugspitzarena, am Marienberg, hat die Agrargemeinschaft Marienberg-Alpe, mit Sitz in Barwies, zugepachtet. Heute werden drei Kilometer Weidezäune ausgebessert. Almmeister Benedikt van Staa ist Teamchef der „Zäuner“ aus Mieming und Biberwier. 

Gratulation zum Hochzeitstag von Annemarie und Herbert

Als mich  am Samstag-Morgen, dem 18. Mai, Marienberg-Alm-Hirt Herbert Schuchter daheim abholte, machte er noch einen Abstecher zu Blumen-Neurauther in Mieming. Dort holte er einen großen, wunderschön bunten Blumenstrauß ab. Mit vielen bordeaux-roten Rosen. „Der ist für Annemarie. Wir feiern heute unseren 39. Hochzeitstag“! – Den Hochzeitstag hat der Herbert noch nie vergessen. „Wenn Du gleich beim Zäunen bist, hab‘ ich etwas zu erledigen. Passt das??“ – „Ja, sicher!“. Dann fahren wir über den Fernpass nach Biberwier zur zugepachteten Alm der AG Marienberg-Alpe. Das Zäuner-Team um Benni van Staa, steckte im tiefen Wald und hatte schon ein paar hundert Meter Zaun, zwischen Weißensee und dem im vergangenen Jahr eröffneten Hotel McTirol im Straßendorf Biberwier instand gesetzt. Der Alm-Zaun aus Fichtenholz und der grünlich-gläserne Hotelwürfel – gegensätzlicher könnten die Dinge nicht sein. Die Winterschäden auf den Marienberg-Almen waren heuer überschaubar. Die Arbeit der Zäuner verlief Hand-in-Hand. Das Team war eingespielt. In der Zeit des Objektivwechsels, waren die Leute schon wieder 50 Meter weiter gekommen. „Keine Frage“, sagt Edi auf Nachfrage, „von der Pacht der Barwieser haben wir in Biberwier auch was…“, „…sicher, weil wir Euch Jahr-für-Jahr die Zäune reparieren“, ergänzt Benedikt van Staa das begonnene Gedankenspiel. Punkt „9“ war Neinerle-Zeit. Am Holz-Traktor von Edi Hundertpfund unterhielten sich zwei Urgesteine über die bäuerliche Zukunft.

Der letzte Bauer im Dorf

„Den Bauern macht hier keiner mehr. Ich bin der einzige, der übrig geblieben ist. Das lohnt nicht mehr, sagen die Jungen. Sie arbeiten heute direkt oder indirekt für den Tourismus. Das ist leichter als tag- und-nacht im Stall zu stehen“. Mit zwei Kühen und einer Handvoll Schafe, ist Edi der letzte Bauer im Ort, indem auf nur ca. 15 Einwohner ein Hotel und noch mehr Gästehäuser kommen. „Früher hatten wir für die Arbeit im Wald noch Ochsen, andere Bauern im Dorf setzten auf Rösser. Mir waren die Ochsen allemal lieber, denn die gehen ruhiger“, erinnert sich Edi Hundertpfund. Die Agrargemeinschaft Biberwier, der er vorsteht, hat „ein ungebrochen gutes Verhältnis zur politischen Gemeinde“. Das sagt er wohl, weil er weiß, dass die meisten Zäuner aus Mieming kommen. In diesem Zusammenhang ist denn auch das zustimmende Nicken des anderen Urgesteins, Herbert Schuchter, zu verstehen.

800-Hektar alpiner Arbeitsplatz

Für den in Nassereith lebenden, gebürtigen Mieminger, Herbert Schuchter und seine Frau Annemarie, wird das heuer nach vier Jahrzehnten der letzte aktive Almsommer sein. Die beiden wollen im Herbst ihren Abschied nehmen. Für den erfahrenen Hirten, der schon als Elfjähriger auf der alten Feldernalm in seinen Beruf eingeführt wurde, ist die Arbeit auf der Bieberwier-Alm eine Mehrbelastung. Darauf angesprochen meint er „Ja, das stimmt. Wenn ich das Vieh zum Melken zusammentreiben will, muss ich von der Marienberg-Alm über schwer befahrbares Gelände Richtung Bieberwier fahren. Bis zu zweimal am Tag“. Über 800 Hektar ist sein Arbeitsplatz insgesamt groß. Allein der Bereich Marienberg-Alm hat 650 Hektar Fläche, davon sind ca. 290 Hektar Almfutterfläche. Das Vieh kommt Mitte Juni auf die Alm. „Wir sind im Zeitplan“, höre ich Herbert sagen, „wie jedes Jahr“.

„Herbert hinterlässt sehr große Fußstapfen“

Wer allerdings annimmt, dass der Schuchter Herbert, mit seinen 67 Jahren, gerne in Pension geht, irrt. Für den erfahren Hirten ist das vergleichbar mit „höherer Gewalt“. – „Ich fürchte mich schon heute vor dem Frühjahr im nächsten Jahr“, sagt er mit unüberhörbar sentimentaler Stimme auf dem Weg zur Marienberg-Alm. Daran mag er heute zwar gar nicht denken, aber seine Gedanken beschäftigen sich ungewollt mit dem Thema. Wir passieren die Liftstation von Bieberwier zur Marienberg-Alm und reden weiter. Herbert Schuchter hat alles erlebt und erfahren, was ein Alm-Hirt in 40 Jahren erleben kann. Höhen und Tiefen. Alle Wetter. Er ist mit der Alm verwachsen. Die zwischen 1600 und 1800 Meter Seehöhe gelegene Marienberg-Alm gibt es seit ca. 300 Jahren.Das belegen entsprechend alte Urkunden. Die Marienberg-Alm wird von der Agrargemeinschaft Marienberg-Alpe bewirtschaftet. Almmeister ist Benedikt van Staa. Er sitzt der Ausschuss-Jury vor, die in den kommenden Wochen die Nachfolge von Annemarie und Herbert Schuchter bestimmen wird. „Keine leichte Aufgabe“, so Benedikt van Staa, „Herbert hinterlässt sehr große Fußstapfen“.

Bergmesse im August auf der Marienberg-Alm

Am Sonntag, dem 11. August werden viele Menschen, aus allen Himmelsrichtungen kommend, zur Bergmesse auf die Marienberg-Alm pilgern. Dass diese Messe von Abt German Erd (Stift Stams) gelesen wird, wäre Grund genug und doch werden wohl, bei allem Respekt, die meisten zu Ehren der Familie Annemarie und Herbert Schuchter kommen, für die es eine sehr emotionale Abschieds-Bergmesse werden dürfte. Die Messe wird von den „Mieminger Sängern“ begleitet, unter neuer Leitung von Johann Holzeis.

Erinnerungen an den Almsommer 2011

Herbert Schuchter wird bis dahin noch viele Interviews geben müssen, „ein paar habe ich schon gegeben“, sagt er und blättert mit Marienberg-Alm-Gästen im Fotobuch „Almsommer 2011“. Das war ein besonderer Sommer, da wurde bei der Bergmesse, die immer am 2. Sonntag im August gefeiert wird, die Mariensäule gesegnet. Die Marienskulptur schnitzte Bildhauer Siegfried Krismer aus Fiss. Der Stamm für die Holzsäule wurde nur unweit der Marienberg-Alm geschlagen, am Weg zur Hütte. Noch heute zu sehen, ist sein Baumstumpf schon deutlich verwittert. Auf Nachfrage zeigt Herbert gerne allen Interessierten die Stelle. „Irgendwann wird er bereit sein, auf seinen Überresten einen neuen Baum wachsen zu lassen.“

Fotos: Knut Kuckel

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Knut Kuckel

Ich engagiere mich für Medienvielfalt und Qualität im Journalismus. In meinen Blogs schreibe ich u.a. auch über Begegnungen und persönliche Erlebnisse.

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